Pfingsten für zwei alte Leute
Theodor Kramer
Aufnahme 2020
Setz auf die Bank vorm Haus dich, Alte, nieder!
Für heute Abend ist genug geschafft!
Am Rand der Vorortstraße blüht der Flieder
und die Kastanien stehn in vollem Saft.
Die Motorräder, die aus frischen Fernen
der Stadt zu brausen, tragen schon Laternen.
Es ist ein Abend, wie ich viele Jahre
schon ihn nicht sah, an dem man alles schmeckt:
den Staub der Stadt, den Ruch der Schlingkrauthaare,
den grünen Rasen, der den Hang bedeckt,
den Wurzelgrund der wilden Efeureben,
die noch den Paaren an den Tschernken* kleben.
Wie ist es, sag doch Alte, zu begreifen,
dass wir wie nun schon wohnen manches Jahr
und nie mehr sonntags durch die Wälder streifen
und dennoch leben, ohne Wind im Haar?
Wir stehen auf und schrubben uns und essen –
und alles andre haben wir vergessen.
Gewaltig, Alte, glaub mir, ist das Leben
in allem, wenn wir es nur richtig tun,
wenn wir dabei sind, wie wir uns erheben,
und ganz dabei, wenn wir ein wenig ruhn.
Ist lahm das Kreuz auch, eine Hand beschädigt,
es ist der Mensch damit noch nicht erledigt.
Kalt zieht sich's in die Füße aus den Fliesen,
die Maiennächte sind noch reichlich frisch;
wir werden gehen und das Fenster schließen
und schmal bestellt ist morgen unser Tisch,
und viel wird’s sein, wenn für uns alte Leute
zuweilen noch ein Abend kommt wie heute.
* Bergschuh