Hermann Kesten

Hermann Kesten, geboren am 28.1.1900 in Podwołoczyska, Königreich Galizien, Österreich-Ungarn, gestorben am 3.5.1996 in Basel (Schweiz) war einer der Hauptvertreter der literarischen „Neuen Sachlichkeit“ während der 1920er Jahre in Deutschland. Kesten ging als leidenschaftlicher Förderer schriftstellerischer Talente („Freund der Dichter“) in die Literaturgeschichte ein. 1933 floh er nach Frankreich und 1940 in die Vereinigten Staaten. Dort trat er als Retter und Unterstützer zahlreicher vom NS-Regime verfolgter Künstler in Erscheinung. In der Nachkriegszeit regte Kesten als streitbarer, engagierter PEN-Präsident heftige Debatten an und nahm regen Anteil am literarischen Leben der Bundesrepublik.
Hermann Kesten war der Sohn eines jüdischen Kaufmanns und wuchs in Nürnberg auf. Sein Vater war aus dem Osten eingewandert und starb 1918 im Kriegslazarett in Lublin (Polen). Kesten studierte von 1919 bis 1923 Jura und Nationalökonomie, ferner Geschichte, Germanistik und Philosophie in Erlangen und Frankfurt am Main.
1926 publizierte er die Novelle „Vergebliche Flucht“ in der Frankfurter Zeitung. 1927 zog er nach Berlin, wo er zunächst als Autor, dann als Lektor im Gustav Kiepenheuer Verlag arbeitete. 1928 erschien sein Debütroman „Josef sucht die Freiheit“ bei Kiepenheuer, der erste Teil einer Tetralogie, die unter dem Titel „Das Ende eines großen Mannes“ projektiert war und die Kesten bis 1932 mit drei weiteren Romanen fertigstellte.
Bis 1933 entstanden neben den Romanen vor allem Erzählungen, einige dramatische Arbeiten (teilweise in Zusammenarbeit mit Ernst Toller) und zahlreiche journalistische Texte in wichtigen politischen wie kulturellen Publikationsorganen der Weimarer Republik (Frankfurter Zeitung, Berliner Tageblatt, Die literarische Welt, Die Weltbühne). Durch seine Autoren- und Lektorentätigkeit machte Kesten die Bekanntschaft vieler namhafter Schriftsteller: Bert Brecht, Erich Kästner, Joseph Roth, Anna Seghers, Heinrich, Thomas und Klaus Mann. Einige von ihnen wusste er in „seinem“ Verlag unterzubringen. Als Herausgeber mehrerer Anthologien und Verfasser zeittypischer Romane gilt Kesten bis heute als prominenter Vertreter der Neuen Sachlichkeit.
Nach seiner Flucht ins französische Exil 1933 wohnte er in Paris und hielt sich im Exilzentrum Sanary-sur-Mer bei Toulon, in London, Brüssel, Oostende und Amsterdam auf. Dort leitete er – zusammen mit Walter Landauer – die deutsche Abteilung des Verlags Allert de Lange und publizierte Werke deutscher Emigranten. 1934 lebte er für kurze Zeit in Hausgemeinschaft in Nizza mit Joseph Roth und Heinrich Mann. Nach „Der Gerechte“ (1934) erschienen in den ersten Jahren des Exils die historischen Romane „Ferdinand und Isabella“ (1936) und „König Philipp der Zweite“ (1938) sowie „Die Kinder von Gernika“ (1939).
Nach kurzen Internierungen 1939 in den französischen Lagern Colombes und Nièvres als „feindlicher Ausländer“ floh Kesten 1940 mit einem Besuchervisum in die USA. Dort lebte er vornehmlich in New York. Von 1940 bis 1942 engagierte er sich als „honorary advisor“ im Emergency Rescue Committee für die Rettung vor allem deutschsprachiger Autoren und Kulturschaffender vor der Verfolgung durch das NS-Regime. Stefan Zweig nannte ihn den „Schutzvater aller über die Welt Versprengten“.
1949 nahm Kesten – mittlerweile amerikanischer Staatsbürger – am internationalen P.E.N.-Kongress in Venedig teil. Eine anschließende Europareise führte auch nach Deutschland und zu einem Wiedersehen mit alten Freunden aus der Vorkriegszeit. 1953 zog er nach Rom, das bis 1977 sein Hauptwohnsitz blieb. 1972 bis 1976 wirkte Kesten als Präsident des P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Tod seiner Ehefrau siedelte er nach Basel über und verbrachte dort die letzten Jahre seines Lebens im jüdischen Altersheim „La Charmille“. 1985 stiftete das P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland zum 85. Geburtstag seines Ehrenpräsidenten die Hermann-Kesten-Medaille für besondere Verdienste um verfolgte Autoren im Sinne der Charta des Internationalen P.E.N. Zu den bisherigen Preisträgern gehören u.a. Johannes Mario Simmel (1993), Günter Grass (1995), Harold Pinter (2001) und Anna Politkowskaja (2003).
1995 stiftete Kesten das Preisgeld für die erste Verleihung des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises.