Mein Leben war nichts als ein langes Verlieren
Theodor Kramer
Aufnahme 2022
Mein Leben war nichts als ein langes Verlieren,
ich wuchs auf dem Dorf mehr als lässig heran;
Doch statt zu studieren hieß bald es marschieren
zur Front, halb noch Kind und halb schon ein Mann.
Mir ward das Gesicht in Wolhynien zerschossen,
das Blut strömte süß und gerann mir im Mund;
Ich trieb nach dem Krieg mich herum in den Gossen
und ward davon nie mehr so richtig gesund.
Das Leben ging schwerer und leiser,
und alles, was war, schien ein Traum;
Doch draußen am Kreuzweg, ein Weiser,
glomm rot noch der Vogelbeerbaum. [...]
Heute feg ich den Rost und spül Teller und Tassen,
einschrumpft mir der Mutterlaut schluchzend im Mund;
Wie tief wird das Leben mich sinken noch lassen,
was leb ich, was geh ich nicht endlich zu Grund?
Das Leben geht niedrer und leiser,
und alles, was war, scheint ein Traum;
Doch draußen vorm Fenster, ein Weiser,
gleißt rot noch der Vogelbeerbaum.