Saldo mortale
Erich Kästner
Aufnahme 2019
Ein Mann, der einen Selbstmord unternahm
und den man rettete, als er schon schlief,
schrieb, als er schließlich wieder zu sich kam,
den Brief:
„Ihr Esel habt mich wieder aufgeweckt.
Ihr habt mit mir geturnt. Ich war schon tot.
Ihr habt mich krummgedrückt und langgestreckt.
Ich war schon fast hinüber, sapperlot.
Ihr habt mir meine Steuern nie bezahlt.
Ihr habt mir nie nur eine Mark geborgt.
Ich hatte einen Posten, den ihr stahlt.
Ihr habt mir keinen anderen besorgt.
Ihr habt mich überall herumgeschickt.
Ich wollte Arbeit. Doch Ihr gabt sie nicht.
Ihr habt mich kalt und böse angeblickt.
Ihr spracht mit mir, wie man mit Dieben spricht.
Ihr habt mich, als ich krank war, nicht geheilt.
Ihr habt mich, wenn ich krank war, noch gekränkt.
Ihr habt Euch, als ich lebte, nie beeilt!
Und meine Frau hat sich an Euch verschenkt.
Ihr weckt mich auf. Woher nehmt ihr den Mut?
Ihr hieltet mich zurück. Ich wollte fort.
Wenn jemand endlich das, was ich tat, tut,
dann wird aus Lebensrettung Mord.
Habt Ihr mich denn noch nicht genug gequält?
Soll das noch einmal losgehn Tag für Tag?
Ich denk nicht dran! Das hat mir noch gefehlt!
Ich mag nicht mehr! Warum? Weil ich nicht mag.“
Man muß nicht leben, wenn man es nicht darf.
Als er im Blatt von seiner Rettung las,
stieg er zum vierten Stock hinauf und warf
sich in den Hof, wo seine Tochter saß.