Das Riesenspielzeug
Erich Kästner
Aufnahme 2015
Einst habt ihr leider nicht bedacht:
dass Kinderhaben auch verpflichtet.
Ihr wart auf uns nicht eingerichtet,
ihr habt uns nur zur Welt gebracht.
Ihr habt uns mancherlei gelehrt,
Latein und Griechisch, bestenfalles.
Nun sind wir groß, doch das ist alles.
Und was ihr lehrtet ist nichts wert.
Ihr habt uns in die Welt gesetzt.
Wer hatte euch dazu ermächtigt?
Wir sind nicht existenzberechtigt
und fragen euch: Und was wird jetzt?
Schon sind wir eine Million!
Wir waren fleißig und gelehrig.
Und ihr? Ihr schickt uns minderjährig,
fürs ganze Leben in Pension.
Wir leben wie im Krankenhaus
und lassen uns von euch verwalten.
Wir werden von euch ausgehalten
und halten das nicht länger aus!
Sind wir denn da, um nichts zu tun?
Wir, die gebornen Arbeitslosen,
verlangen Arbeit statt Almosen
und fragen euch: Und was wird nun?
Einst wusstet ihr noch euren Text,
als ihr uns noch für Puppen hieltet.
Und wie mit Spielzeug mit uns spieltet.
Doch wir sind Spielzeug, welches wächst!
Auf eigne Rechnung und Gefahr
will jeder, was er lernte, nützen.
Die Tage regnen in die Pfützen,
und jede Pfütze wird ein Jahr.
Die Zeit ist blind und blickt uns an.
Die Sterne ziehn uns an den Haaren.
Das ganze Leben ist verfahren,
noch ehe es für uns begann.
Vernehmt den Spruch des Weltgerichts:
Ihr gabt uns seinerzeit das Leben,
jetzt sollt ihr ihm den Inhalt geben!
Dass ihr uns liebt, das nützt uns nichts.