Die Gesegnete
Gertrud Kolmar
Aufnahme 2013
Ich bin im Dunkel und allein.
Und neben mir lehnt doch die Tür.
Wenn ich sie klinke, steh' ich ganz im Licht.
Da sind ein Vater, Mutter und die Schwestern,
Ein Hund, der stumm und freundlich spricht.
Wie darf ich lügen, und wie kann ich sagen,
Daß ich ins Finstre hingestoßen ward?
Ich hab' mich selbst aus allem fortgetragen.
Vor meinen Augen blühte Schnee.
Ich sah, daß er die Rispen zu mir neigte,
Zu meinen Jahren, und es tat mir weh.
Ich hatte nichts, dem Alter zu versöhnen
Mein Herz, das jung und rot wie Frucht erklang,
Es an die bleiche Kühle zu gewöhnen.
Da weint' ich sehr und ging
Und fand den Mann an einer Wegegabel,
War still und liebte und empfing.
Es sang in mir auf einer Geige
So süß, so leicht, im Anbeginn.
Nun singt es nicht mehr, wenn ich schweige.
Die Angst mit ihren Fleckenhänden kam,
Saß bei mir nieder, meinen Leib betastend,
Belud ein Grinsen: »Fühlst du keine Scham?«
»Wo blieb der Frauenring für deinen Finger ?
Du fürchtest Diebe, hältst ihn brav versteckt.«
Ist meine nackte Rechte denn geringer ?
So arm, so nackend wird es sich
Auch meinem Schoße bald entwinden.
Und wenn ich's denken muß, umkrampft es mich.
Es krallt sich ein und läßt mich zittern,
Wie Sturm den Baum im Winterfeld
Befreit von seinen letzten rost'gen Flittern.
So fegt es mir hinweg, was dünn und schal,
Die kleine Sorge, listiges Vergnügen,
Und bricht die Knospe auf der großen Qual.
Der großen Freude. O, ich will dich werfen
So wie ein Tier und glücklich sein! -
Ich finde Klauen, die ein Messer schärfen …
Es ist doch Nacht. Und ist ein Ding, das Schande heißt.
Ich darf dich nicht gebären.
Ich weiß den Schnellzug, der den Wald zerreißt.
Dem geh' ich zu an seinen blanken Gleisen
Und werde müd' und leg' mich froh zu Bett
Quer auf zwei flache Stäbe Eisen.
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Die Gesegnete [Kolmar-06]
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