Wenn alle mich verlassen
Max Herrmann-Neiße
Aufnahme 2011
Wenn Alle mich verlassen,
die Nacht des Abschieds naht,,
die Astern ganz verblassen
an meinem Schattenpfad,
die schwarzen Falter flattern
gespenstisch durch den Saal,
es hocken die Gevattern
schon froh beim Totenmahl,
es klingt vom Wald herüber
ein klagender Choral,
der Wein im Glas wird trüber
und schmeckt dem Zecher schal;
dann leuchtet fern im Meere
ein brüderliches Licht
und in die Welten-Leere
der Mutter Stimme spricht:
„So hast du mich verlassen,
mich, die dich nie vergass,
auch in den fremden Gassen
unsichtbar bei dir sass;
vor einer kleinen Schänke,
drin spielte das Klavier,
die Tische und die Bänke
umgab der Duft von Bier,
in der du überdachtest
wie falsch dein Leben war,
und Zukunftspläne machtest,
strich ich dir übers Haar
als Luftzug, der dich störte,
und wusste ganz genau,
dass dein Gewissen hörte
das Wort der toten Frau.
Von ihrem Grabe schrittest
du in die fremde Welt.
Was du darin erlittest,
hat dich so sehr entstellt,
dass keiner mehr erkannte
dein wahres Angesicht.
In meinem Herzen brannte
doch stets dein Lebenslicht.
Im Lieben und im Hassen
wie einig waren wir!
Wenn Alle dich verlassen,
Kehrst du zurück zu mir."
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Wenn alle mich verlassen [Herrmann-Neiße-07]
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