Der geregelte Zeitgenosse
Erich Kästner
Aufnahme 2022
Hei, wie er die Zukunft auswendig wußte!
Er kannte die Höhe der Summe genau,
die man den Kindern und seiner Frau
nach seinem Tode auszahlen mußte.
Er war berühmt als Vater und Gatte,
der Leben und Sterben und Diebstahl und Brand
versicherungsrechtlich geregelt hatte.
Er hatte das Schicksal glatt in der Hand.
Und wenn sich die Achse der Erde verböge:
er wußte, wieviel er am 1. Mai
(vorausgesetzt, daß er am Leben sei)
in zwanzig Jahren Gehalt bezöge.
Gewohnheit umgab ihn mit hohen Mauern.
Sie rückten immer näher heran.
Und er begann, sich zu bedauern.
Nicht immer, aber dann und wann.
Da half kein gesteigertes Innenleben.
Er wußte, was sie morgen besprächen
und was sie einander zur Antwort gäben
und wann und wie sie sich unterbrächen.
Das Lieben und Atmen und Zeitungslesen,
das wurde alles zu einem Amt.
Er war doch mal ein Mensch gewesen!
Das war vorbei, und er dachte: Verdammt!
Verschiedentlich faßte er Fluchtgedanken.
(Er dachte speziell an Amerika.)
Aber aus Angst, seine Frau könnte zanken,
blieb er dann doch immer wieder da.