Neujahrswunsch
Erich Kästner
Aufnahme 2025
Geschrieben am 30. Dezember 1929
Der Globus duftet nach Benzin. 
Der Fortschritt riecht nach Windeln. 
Die Seele hat nichts anzuziehn 
und sehnt sich sehr nach dem Termin, 
an dem wir uns beschwindeln.
Die Hoffnung ist nur ein Komplex. 
Die Wünsche, die wir hegen, 
sind lauter ungedeckte Schecks. 
Man blickt zum Himmel – und ein Klecks 
ist meist der ganze Segen.
Gott liefert auch nur gegen bar! 
Und trotzdem hofft man fleißig 
und wünscht sich Glück von Jahr zu Jahr, 
so auch zum 1. Januar 
für 1930.
Die Wünsche, die man schreibt und spricht, 
sind billige Geschenke 
und haben nur Papiergewicht. 
Und sie erfüllen sich auch nicht, 
wenn ich sie nichts als denke.
Drum wünsch ich nichts als dreimal Mut 
und möglichst wenig Schmerzen! 
Die Erde ist kein Rittergut 
und auch kein Wohlfahrtsinstitut 
für angebrochne Herzen.
Doch wer noch hofft und überhaupt 
an alle guten Geister glaubt, 
dem wünsch ich Glück und Segen. 
Nur eins bemerk ich noch geschwind: 
Wenn er das große Los gewinnt, 
hat's nicht an mir gelegen!
 
 
 
